Der Faun als mythologische Figur ist für Bernd Streiter als sinnlich-dionysisches Wesen interessant – eine Darstellung, die in der Kunstgeschichte sehr offensichtlich tradiert ist. Die Alten verehrten den Faun als Gott der Berge, Triften und Flure, als Beschützer der Herden, der das Vieh fruchtbar machte und die Raubtiere abwehrte. Darüber hinaus identifizierte man ihn mit dem griechischen Weidegott Pan. Wie letzterer liebt er den Aufenthalt im Wald, wo er gelegentlich die Menschen erschreckt und ängstigt, die er auch nachts in ihren Häusern beschleicht, um sie durch Träume und schreckhafte Erscheinungen zu plagen.
Man opferte ihm Böcke mit Wein- und Milchspenden, betete, dass der Gott den Äckern und Herden, zumal den jungen Geschöpfen, sich hold erweise, und ließ, während auch das Vieh sich frei tummeln durfte, die Sklaven auf Wiesen und Kreuzwegen tanzen und sich vergnügen. Die Mythologie kennt ein ganzes Heer von Faunen: mutwillige Dämonen mit krummen Nasen, Hörnern, Schwänzen und Bocksfüßen. Wie viele Mächte des Zeugens und Gebärens weissagten Faune die Zukunft in Träumen und Stimmen von unerklärlichem Ursprung. Maskulines und Animalisches verbindet sich in der Gestalt des Fauns mit Weisheit und Sinnlichkeit. So wird der Faun in Bernd Streiters Radierungen zu einer ikonographischen Figur vielseitiger Bedeutungen und Schattierungen und zu einem Grundmuster des tiefgründigen menschlichen Charakters.