Der Zeitgeist kann mir den Buckel runter rutschen. Ich folge meiner Begeisterung,
dem Licht meines Weges. Und so erwies ich mich als immun gegenüber dem Präsens
mit seinen Moden und Strömungen, seinen steigenden und fallenden Kursen, seinen
wechselnden Politikern und täglichen Erfindungen. Ich bewege mich künstlerisch
immer noch in einer Welt, in der Marderhaar, Kolophonium, Asphalt, Carnaubawachs,
Ochsengalle und lauter Ingredienzien eine Rolle spielen, als sitze man nicht in einem
Atelier, sondern in einer mittelalterlichen Alchimistenküche. Und tatsächlich geht es um
Magie, um den Zauber, der sich hinter den gewöhnlichen Dingen verbirgt. Auf meine
Art verwunschen stakse ich kopfschüttelnd durch die Moderne.
Gleichzeitig habe ich den Eindruck, die Welt ist rasend. Täglich wechseln die Kulissen,
aber im Kern gibt es keine Veränderung. Trotz stündlichen Wechsels der Staffage wird
immer das gleiche Stück gegeben. So hege ich eher einen philosophischen Abstand
zu meiner Zeit, das macht mich frei von Moden und Stilfragen. Ich halte mich an das
klassisch Ewige und so verwende ich Materialien, die nachgewiesenermaßen nicht nur
mich, sondern auch meine Kinder und Enkel überleben werden. Das Temporäre mit
dem Überlebenshorizont eines Butterbrotpapiers interessiert mich nicht.
Meine Kunst erfordert Geduld und Können. Zudem sollte man ziemlich abgeklärt sein,
denn die Gefahr bei gegenständlicher Bildauffassung ist, dass man die »Denke« sieht und
das kann gegebenenfalls peinlich werden. So ist ein Bild ein metaphorisch verklausulierter
Gedanke. Es hat seine Geheimnisse, und auf ihm ist gleichzeitig der Schlüssel
zum Verständnis verborgen.
Kann sein, ich werde morgen abstrakt und erkläre meinem Publikum geschickt den
Wandel. Das wäre zwar ungeheuerlich aber ein Teil des Publikums würde sagen: »Er ist
verrückt geworden!«, wogegen der andere Teil behaupten würde: »Er ist geheilt!«
So stehe ich jeden Morgen gespannt auf und horche in mich hinein. Alle Optionen sind offen,
denn alles, was ist, befindet sich in einem instabilen Zustand, in immerwährendem Wandel.
Vielleicht wachst auch du morgen auf und befindest dich plötzlich im Wunderland
zwischen dem Nicht-Mehr und dem Noch-Nicht. Denn allein da, wo die Gegenwart
absurd und die Zukunft völlig ungewiss sind, hat man plötzlich Raum, kann seine
Schwingen ausbreiten und, auf diese Weise vogelfrei geworden, alles wagen, was gestern noch
unmöglich schien. Der Tripelpunkt zwischen den Zeitachsen ist ein ungeheurer
Kraftpunkt des Individuums. Hier findet man die Geheimnisse seiner Zeit.
Viel Glück, Bernd Streiter